
Zum höchsten Dorf Europas

Der Tag beginnt kühl und etwas wolkig. Die Temperaturen steigen aber in der Sonne schnell angenehm an.
Da wir am Abend eine Verabredung zum Essen haben, wollten wir heute nur eine kurze Wanderung machen. Wir sahen am gegenüberliegenden Hang ein Dorf und einen ziemlich geraden Weg auf einer Höhe. Das schien ja ein Spaziergang zu werden. Etwa 5 Kilometer hin und auch wieder zurück.
Wir hatten die Höhe von über 2000 Metern und die stetige Steigung unterschätzt. Die Aussicht war fantastisch, wir wurden von Pferden und Kühen überholt. Nur ganz selten kam ein Auto vorbei.




Gegen 12 Uhr kamen wir am Ziel der Wanderung an: Borchoni empfing uns menschenleer noch nicht vom Winterschlaf erwacht.



Borchoni ist die höchste bewohnte Siedlung Europas und tut das mit einem großen Schild kund. Die georgische Flagge weht, daneben ein bisschen zerrupft flattert die europäische Fahne.

Außer der fantastischen Fernsicht auf die grünen und weißen Gipfel gibt es in Borchoni einen alten Turm, der eigentlich nur noch eine Ruine ist. Sie liegt oberhalb der aus denselben Steinen gebauten Häusern. Wir kraxelten einen engen Pfad hinauf zum Turm. Michael durfte auf das Grundstück der Ruine, für mich war am Zaun Schluss: no women! Der Turm ist ein Heiligtum der Tuschen und Frauen sind wohl nicht würdig, sich zu nähern. Hmmm

Wir verspeisten auf dem Dorfplatz unser mitgebrachtes Mittagessen und machten uns anschließend auf den Rückweg.



Es ging nun bis fast zum Schluss der Wanderung stetig abwärts. Trotzdem setzte uns die dünne Luft etwas zu. Der letzte Anstieg hatte es dann in sich. Es ging gefühlt eine Wand hoch. Mit viel Schnaufen und ein paar Pausen im Stehen kamen wir gegen 15 Uhr am Bus an. Eigentlich Zeit für einen Kaffee, aber wir brauchten erst einmal eine lange Pause. Dann Kaffee und wieder eine Pause.
Später hielten zwei Fahrradfahrer aus Deutschland bei uns, die den ganzen Weg aus dem Tal über den Pass und hier hinauf in zwei Tagen geschafft hatten. Respekt!
Als wir endlich ausgeruht waren, haben wir große Wäsche gehalten. Mit Waschschüssel, Waschlappen, Seife und sehr kaltem Wasser haben wir uns ausgehfein gemacht. Wir wollten unbedingt einen sehr guten Eindruck beim Abendessen im Hotel unserer neuen Freunde machen.
Als wir gegen 19 Uhr am Restaurant ankamen, kehrten Sohail und seine Familie gerade von einem fünfstündigen Ritt zu Pferde zurück. Sie waren genau unseren Wanderweg geritten.
Der gemeinsame Abend war sehr interessant. Wir hatten ja schon gestern sofort Zutrauen und Sympathie zueinander gefunden. Das Essen im Restaurant war sehr gut, leider etwas chaotisch organisiert und wie immer viel zu viel.
Die Gespräche wurden im Laufe des Abends immer gehaltvoller und tiefgründiger. Es war alles andere als Smalltalk. Sohail und seine Frau Naushaba waren ehrlich interessiert an unserer westeuropäischen Kultur. Wir sprachen über Gott und die Welt im wahrsten Sinne des Wortes. Über Religion, Kindererziehung, Lebensführung, das Verhältnis von Männern und Frauen, über LGBTQ, unsere Sichtweisen auf den Gazakrieg. Alles in einer wirklich offenen Atmosphäre, geprägt vom gegenseitigen Respekt. Wir hätten sicher noch lange weiter miteinander viel zu Besprechen gehabt, aber es war spät geworden und wir waren alle müde vom langen Tag. Wunderbar, dass ein solcher Austausch der Kulturen möglich ist.
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