Kars und Ani

Nach der wunderbar ruhigen Nacht am See genossen wir ein Frühstück in vollkommener Stille. Ab und zu Vogelstimmen – sonst nichts. Nicht mal der Muezzin-Ruf aus dem Dorf am gegenüberliegenden Seeufer war zu hören.

Da wir wussten, dass es wieder ein heißer Tag werden würde, starteten wir trotz der Idylle ziemlich früh.

Wir wollten weiter nach Kars, der einzigen Stadt weit und breit. Unterwegs kamen wir wieder durch viele kleine Dörfer. Bäume gibt es hier keine. Ab und zu ein paar Büsche.

Hier wird vor allem Viehzucht betrieben. Ab und zu sehen wir kleine Äcker, sonst eher Rinder, Ziegen und Schafe. Auch Gänse laufen uns über den Weg.

Da Brennholz nicht zur Verfügung steht, wird hier die wertvolle Ressource Kuhdung genutzt. Kuhfladen werden mit Stroh gemischt und zu handlichen Ziegeln geformt. Überall in den Dörfern stehen die so genannten Tezek auf den Grundstücken wie Mauern. Fertig zum Gebrauch zum Kochen und Heizen.

Die Häuser und Ställe sind zum Teil mit dicken Gras-Soden gedeckt. Diese schützen sowohl vor Kälte als auch vor Hitze. Alles in allem also eine sehr ökologische und nachhaltige Lebensweise. Nicht aus Ideologie, sondern der Not gehorchend.

Dafür sind die Straßen hier in bestem Zustand. Wir fuhren über die Hochebene mit kilometerfreiem Blick und wunderten uns, dass wir Kars nicht sehen konnten, obwohl das Navi nur noch ein paar Minuten anzeigte.

Die 90000 Einwohner fassende Stadt liegt am Eingang zu einem Flusstal und beginnt mit ganz normalen niedrigen Häusern. Erst direkt um die Festung, die am Eingang des Tals auf einer Anhöhe trohnt, liegt der eigentliche Stadtkern. Wir finden dank „Park for Night“ einen sehr zentralen Parkplatz direkt am Fluss unterhalb der Festung.

Wie es scheint, hat die Tourismusbehörde alle Sehenswürdigkeiten rund um den Festungsberg in der Ebene angesiedelt. Hier gibt es einen weitläufigen Park mit Brunnen und vielen Sitzgelegenheiten. Die angepflanzten Bäume sind allerdings noch sehr klein. Schatten gibt es nur rund um die Moschee und die ehemalige orthodoxe Kirche.

Wir suchen uns erst einmal ein nettes Café, bevor wir die Einkaufsstraßen erkunden. Im ersten großen Käsegeschäft machen wir eine Käseprobe und erstehen dort zwei besonders leckere Sorten: einen aromatischen Laib mit geröstetem Sesam und eine große Ecke des für die Gegend berühmten Gravyer-Käse.

Weiter ging’s durch die plötzlich doch ganz städtischen Straßen mit vielen modernen Geschäften. Wir bekamen Hunger und wollten einfach, aber lecker essen. Wir fanden ein kleines Lahmacun- und Piderestaurant. Wir wurden schnell und äußerst aufmerksam bedient. Und es war wie erhofft sehr gut.

Dann nahmen wir die Besichtigung der Festung in Angriff. Der Weg hinauf war steil und es war schon wieder sehr heiß. Oben war der Blick nach unten eigentlich das Beste. Wir konnten einen Blick in einen Raum mit dem Grab eines Kahraman Cemal werfen, ansonsten waren alle Innenräume geschlossen. Ganz oben saßen wir zum Verschnaufen im Schatten. Eine Familie gesellte sich dazu und wollte ein Gruppenfoto machen. Michael bot sich an, alle zu fotografieren. Das hatte prompt zur Folge, dass wir beide eisgekühlte Limonade angeboten bekamen.

Wieder unten suchten wir nach Kühle in der Kathedrale der Heiligen Apostel (Surb Arakelots). Diese war eine armenische Kirche aus dem 10. Jahrhundert, die über die Jahrhunderte als Moschee, russisch-orthodoxe Kirche und Museum diente. Drinnen bekamen wir ungefragt eine kleine Führung von einem etwa 16 Jahre alten Jungen. Er erklärte uns sehr freundlich und auf Englisch was er über die Kirche wusste. Er zeigte mit einer Taschenlampe auf verschiedenen Details an der Decke und ging mit uns in hintere Räume, die wir selbst sicher nicht entdeckt hätten. Zum Schluss machte er ein Foto von uns auf den Stufen unter dem riesigen Kronleuchter. Wir gaben ihm gerne etwas Geld für seine Dienste.

Draußen begegnete uns ein Mann, der in Antwerpen lebt und mit uns nur auf Französisch reden konnte. Er sprach uns an und fragte uns allerlei. Es kam heraus, dass er Armenier ist und einmal dieses Land besuchen wollte, dass eigentlich den Armenien gehört und seit dem schrecklichen Genozid und der Landnahme durch die Türken 1920 auf dem Gebiet der Türkei liegt. Er war nicht glücklich und sagte, er würde am liebsten nur weinen. Er war ungehalten darüber, dass dieser Ort nun als Touristenattraktion vermarktet wird.

Wir hatten genug von der Hitze und der schönen Stadt Kars. Wir fuhren durch das schöne Flusstal hinter der Festung. Der Weg war leider eine Sackgasse. So hatten wir die Landschaft zweimal.

Nun ging es weiter zur uralten Ruinenstadt von Ani. Hier siedelten Menschen lange vor Christus. Die Stadt beherbergte zeitweise bis zu 100000 Menschen und war eine alte armenische Hauptstadt. Später war sie Teil des osmanischen Reiches. Dann gehörte sie von 1878 bis 1917 zum russischen Reich. Bis 1920 war sie kurz wieder armenisch. Danach – siehe oben. Heute sind auf dem weiten Areal direkt an der Grenze nur noch wenige Gebäude als Ruinen erhalten. Wir sind fast zwei Stunden herumgewandert und waren sehr beeindruckt. In der Ferne sahen wir den Aragat (!), den viergipfeligen Vulkan, der heute der höchste Berg Armeniens ist.

Am Abend entschieden wir uns kurzer Hand weiterzufahren, obwohl wir von der Jandarma, der Grenzpolizei, die Erlaubnis hatten, auf dem Parkplatz zu übernachten.

Wir fuhren im letzten Abendsonnenschein weiter auf der Straße Richtung Ararat, türkisch Ağrı Dağı, tankten in Digor und fanden mitten in einer unwirklichen Felsenlandschaft einen Stellplatz mit Aussicht. Am Horizont war schemenhaft schon der Ararat zu erahnen. Es war ein sehr lauer Sommerabend, den wir gerne noch länger draußen genossen hätten. Doch die Mücken haben uns in den Bus getrieben. Die Nacht werden wir mit viel Durchzug und leichter Kleidung gut überstehen.